Ein Ateliergespräch zwischen Carsten Nolte und Sebastian Mühl

 

Sebastian Mühl

Eines der wichtigsten Konzepte, um sich deinen Arbeiten zu nähern, scheint mir der Begriff des Displays zu sein. Du arbeitest seit einiger Zeit mit gefundenen Objekten, die von dir in einen installativen Zusammenhang gebracht, dabei manipuliert oder zweckentfremdet werden, die aber in ihrem ursprünglichen Gebrauch eine Displayoder Zeigefunktion besaßen, die weiterhin latent sichtbar bleibt. Das heißt, du spielst mit den Bedeutungsmotiven der ursprünglichen funktionalen Objekte und transferierst deren Funktionalität als Objekte bzw. Oberflächen des Zeigens / Präsentierens in den Bereich der Skulptur. Inwiefern spielt der Begriff des Displays für dich eine Rolle und in welchem Sinn ist er konstitutiv für deine Arbeit? Worauf beziehst du dich dabei? Eine Form der Kritik? Kritik woran?

 

Carsten Nolte

Die Displays haben einen konkreten Kontext, aus dem ich sie entnommen habe. Sie stammen aus Wiederverwertungsunternehmen, die mit Einrichtungen insolventer Geschäfte/Firmen handeln. Das sind riesige Hallen, gefüllt mit deutschlandweit aufgekauften Displays, die dort durch renovative Methoden von ihrer Geschichte befreit und zum Wiederverkauf angeboten werden. Diesen Kreislauf finde ich interessant. In meinen Augen kann man sich Verkaufsdisplays als Form gewordene Quellen denken, in denen die kapitalistische Idee des unendlichen Warenflusses vorstellbar ist. Ihre Funktionalität benutze ich, um zusammenhängende Rauminstallationen herzustellen. In früheren Arbeiten habe ich die repräsentativen Eigenschaften der Displays genutzt, um darin geschlossene Systeme zu zeigen, die abstrakt auf Themen der Renovation bzw. Produktion verweisen. In aktuelleren Arbeiten finden sich vermehrt Fundstücke unterschiedlicher Materialität wieder, die ich in den Displays als originäre Objekte vorstelle.

 

Mühl

Deine Arbeiten haben sehr starke performative Elemente, das heißt, die Titel der Arbeiten funktionieren etwa als Handlungs- oder Denkaufforderungen an den Betrachter, die einzelnen Assemblagen haben immer etwas Vorläufiges und bewegen sich zwischen Einzelwerk und Gesamtinstallation. Wie gehst du vor bei deinem Dicheinschreiben in die Materialien und nach welchen Prinzipien und Absichten organisierst du die Komposition der einzelnen Bestandteile und damit deren Bedeutungsbildung?

 

Nolte

Meine Arbeit ist grundsätzlich prozesshaft angelegt. Das bedeutet, dass die eingesetzten Materialien immer wieder in anderen Konstellationen und damit Sinnzusammenhängen auftauchen können. In der Weise, wie ich die Dinge zueinander in Beziehung setze, schreibe ich mich als Autor ein. In der Arbeit „Give up the Ghosts“ sieht man z. B. eine auf ihren Grundkörper reduzierte Schneiderpuppe. Sie liegt da wie flüchtig abgelegt, ähnlich der Situation, in der ich sie am Straßenrand gefunden habe. Was man auf diesem Foto nicht sieht, ist ein von mir in dem hohlen Inneren des Torsos platziertes Vogelnest. Die eine Form, die auf Wiederholung von Formen verweist, beherbergt eine andere Form, die man mit dem Gedanken der Originalität übersetzen kann. Eine weitere Arbeit mit dem Titel „Everything he did …“ zeigt ein Whiteboard, das sein Inneres sozusagen nach außen trägt. Von der Trägerkonstruktion haftengebliebene Holzfasern zeichnen den ursprünglichen Montagevorgang des Herstellers nach, der mit dieser Armbewegung nicht nur den Klebstoff aufgetragen, sondern die Rückseite der Tafel gleichzeitig mit seiner „Handschrift“ versehen hat. Ähnlich verhält es sich in der Arbeit „The weather is fine …“, wo man auf die zufällige Struktur des gewaltsam abgelösten Grundträgers eines Whiteboard schaut. Bei den Titeln gehe ich ähnlich vor wie bei den Fundstücken, jedoch stammen diese Satzfragmente aus Kontexten, die einen Kontrast zur Herkunft der von mir verwendeten Materialien bilden. Textquellen sind beispielsweise der Management Bestseller von James C. Collins, „Good to Great“, das Gallup Business Journal oder jene Urlaubskarte an Arbeitskollegen, die ich zwischen ausrangierten Displays entdeckt habe und die mir den Titel „The weather is fine, but the food could be better“ bescherte.

 

Mühl

Damit unterläufst du permanent das Konzept des räumlich und zeitlich in sich geschlossenen Werks. Spielt in dieser Hinsicht auch der Begriff des skulpturalen Handelns für dich eine Rolle? Wie würdest du skulpturales Handeln genauer verstehen, im Hinblick auf deine künstlerische Praxis, aber auch mit Blick auf künstlerische oder kunsthistorische Bezüge, die für dich relevant sind?

 

Nolte

An den Objekten, die ich verwende, sind die Spuren der Herstellung und der Geschichte für den Betrachter wichtige Indizien für eine mögliche Lesbarkeit. Neben dem Prozesshaften erfüllt diese Arbeitsweise wohl den Grundansatz des skulpturalen Handelns, wie er von Künstlern der Minimal Art begründet wurde. Neben den Herstellungsspuren als solchen steht in meiner Arbeit aber der Kontext, durch den diese Spuren entstanden sind, im Vordergrund. Künstler wie Manfred Pernice, Michael Beutler oder auch Nairy Baghramian sind da wichtige Bezüge. Die Arbeiten, die ich für dieses Heft ausgewählt habe, spiegeln meine eigenen Herstellungsspuren in der Weise wider, wie ich gefundene Materialien zueinander arrangiert habe. Eine neue fotografische Arbeit zeigt das Abbild eines leeren Verkaufsständers, abgestellt vor einer offenbar temporär aufgebauten Wand, die mit Spuren in Form von Beschädigungen, Dreck und ausgelaufener Flüssigkeit verschmiert ist. Diese Spuren zeichnen aber nicht etwa das informelle Bild eines um diesen Verkaufsständer ausgetragenen Kampfes um ein Produkt nach, sondern verweisen auf den Ort, an dem der Verkaufsständer als Ware ausgepriesen wurde. Das Foto entstand in der Peripherie Leipzigs in einer von Vietnamesen betriebenen Halle, in der neben Billigimporten aus Asien auch Verkaufsdisplays angeboten werden. Eben dieses Zusammenspiel aus Kontext, Material und Zustand sehe ich als charakteristisch für meine Arbeit.