„Ein leuchtendes Phänomen“ –, so nannte Le Corbusier die Fabrikstadt Zlín bei einem Besuch im Jahr 1935. Im Südosten Tschechiens gelegen, wurde Zlín seit den 1910er Jahren als Modellstadt der Moderne für die Produktionsstätten des Schuhfabrikanten Tomáš Bata in einem Architektenverbund um Frantisek Gahura und Vladimir Karfik errichtet. Obwohl es sich um eines der ambitioniertesten und groß angelegtesten Projekte modernen Bauens handelte, ist die Geschichte des zur Jahrhundertwende nur einige hundert Einwohner zählenden mährischen Dorfes hin zur funktionalen Fabrik- und Gartenstadt mit über 40.000 Einwohnern lange Zeit dem Vergessen anheim gestellt geblieben. In jüngerer Zeit rückte Zlín über die Grenzen Tschechiens hinweg in den Blick eines Forschungsinteresses, und zwar gerade im Zusammenhang mit der Aufarbeitung modellhafter Architektur- und Stadtplanungskonzepte der klassischen Moderne.

 

Der interessante Einsatzpunkt einer Beschäftigung mit Zlín liegt in der eklatanten Widersprüchlichkeit einer real gewordenen Utopie. So wurden einerseits die Ideale einer rein funktionalen Stadt verwirklicht, wie sie von den Avantgarden in Paris, Dessau oder Moskau im Namen der Neuerschaffung der Lebenswelten moderner Menschen erdacht wurden. Andererseits stand diese Utopie von Beginn an im Zeichen einer kapitalistischen Maxime: der Gewinnsteigerung des späteren Weltmarktführers Bata. Die Konstruktion der Moderne zeigt sich in ihrer ganzen Ambivalenz: als einzigartige Mischung von Utopie und Kontrolle, Befreiung und Disziplin, Modernisierung und Rationalisierung, Corporate Urbanism und sozialer Fabrik- und Gartenstadt.

 

Davon zeugen nicht nur die innovativen Wohnlösungen für Arbeitersiedlungen, die herausragende soziale Standards verwirklichten, sondern auch die fortschrittlichen Sozialeinrichtungen, die den Firmenangestellten und deren Familien, das heißt der gesamten Bevölkerung von Zlín kostenfrei zur Verfügung standen. Gleichzeitig wurde eine funktionale Aufgliederung der Stadt in Bereiche der Arbeit, des Wohnens und der Freizeit umgesetzt, wobei frühzeitig die Prinzipien der Charta von Athen umgesetzt wurden, bevor diese überhaupt niedergeschrieben war. Zlín hatte nicht nur das zur damaligen Zeit größte Kino Europas mit über 2400 Plätzen direkt am Ausgang des zentral gelegenen Werkgeländes, sondern es gab hier auch einen in seiner Absurdität heute noch erschreckend wirkenden gläsernen Fahrstuhl an der Außenwand des Hauptverwaltungsgebäudes, der gleichzeitig als mobiles Büro des Unternehmer-Bürgermeisters Bat‘a fungierte und ein panoptisches Kontrollsehen sowohl in die verschiedenen Etagen des Gebäudes als auch auf das Werksgelände und die Stadt als Ganze ermöglichte.

 

Einer der entscheidenden Punkte lag in der radikalen Umsetzung eines architektonischen Konzepts totaler Gestaltung, das auf die gesamte Stadt übertragen wurde. So besteht Zlín aus im Blockraster von 6,15 x 6,15 m konzipierten Modulen, sie sich vom Grundriss der Stadt über die Architekturen der Fabrikgebäude bis hin zu den Arbeitersiedlungen der Gartenstadt erstrecken. Sie zeigen eine Form der Rationalisierung, die die Profitinteressen des Unternehmens mit den radikalen Ideen der ästhetischen Moderne, mit anderen Worten, Kapital und Avantgarde, aufs Beste verband. Die Utopie von Zlín verbindet die Produktion des „Neuen Menschen“ mit der Produktion von Schuhen, sozialistische Ideale einer Versöhnung von Arbeit und Leben mit fordistischem Kapitalismus, die modellhafte Errichtung einer Planstadt mit ihrem späteren Export in andere Länder.

 

Es ist einer der interessantesten Aspekte der Geschichte von Zlín, dass ab den 1930er Jahren weltweit Satellitenstädte entstanden, die als sogenannte Company Towns das Modell Zlín im kleinen Maßstab exportierten. Bis in die 1960er Jahre entstanden dutzende Bata Villes, die die Expansionsbestrebungen des Unternehmens widerspiegelten und von einem frühen Beispiel von Globalisierung zeugen. Es handelt sich dabei um kleine Fabriksiedlungen, die Namen wie Bataville (Frankreich), Bata Park (Schweiz), Batadorp (Niederlande), Batovany und Batov (Tschechoslowakei), Batanagar (Indien), Batawa (Kanada), Batafler (Chile) oder Batatuba (Brasilien) tragen. Diese Siedlungen reproduzierten die Konzepte von Zlín: Sie bestehen in der Regel aus einem in modularer Bauweise errichteten Industriepark, daran angrenzend Arbeiterhäuser und Sozialeinrichtungen. Am Reißbrett entworfen, adaptieren die Bata Villes das modulare Blockraster von Zlín, das sich nun als global anwendbares, universelles Formen- und Volumensystem erweist.

 

Interessant ist, dass der Blick auf die Bata Villes gerade aus heutiger Perspektive Widersprüche und Konflikte im Anspruch einer universalistischen Moderne sichtbar werden lässt, die umso stärker kontrastieren, als dass die unterschiedlichen Architekturmodelle zwar weitgehend identisch sind, die Orte selbst hingegen deutlich divergierende Kontexte nahelegen. In meiner Dissertation nehme ich fünf dieser Satellitenstädte in den Blick: Bataville in Frankreich, Bata Park in der Schweiz, die Niederlassungen in Otmet und Chelmek in Polen sowie Batadorp in den Niederlanden. Der dabei entstandene Film Satellites soll zeigen, dass die Aneignungs- und Transformationsprozesse der Architekturen aus heutiger Sicht ihren Universalismus widerlegen, und zwar entsprechend der spezifischen politischen, sozialen und ökonomischen Kontexte, in denen sie jeweils erscheinen.1

 

Bataville, 1932 in einer ländlichen Gegend in Lothringen, Frankreich erbaut, hat nach einer Phase des Niedergangs in den 1980er Jahren die Produktion im Jahr 2005 endgültig eingestellt. Während die Gebäude verfallen, werden einige Bereiche als Lagerhallen und für Kleingewerbe genutzt. Da der ehemalige Industriekomplex in einer strukturschwachen Region im Osten Frankreichs liegt, gibt es nur geringe Chancen, hier erneut Industrie anzusiedeln. Die Hoffnung besteht darin, den Komplex von Bataville als kulturelles Erbe touristisch zu erschließen und damit einen Beitrag zur zukünftigen Strukturentwicklung der Region zu leisten.

 

In Bata Park, Schweiz, ist die Produktivmachung des Erbes fortgeschritten. In der Nähe von Basel gelegen, hat Bata Park die Schuhproduktion seit längerer Zeit eingestellt. Während in der ehemaligen Arbeitersiedlung teilweise noch ehemalige Angestellte leben, ist die als Industrieerbe geschützte Architektur des Firmenparks zum Standortfaktor geworden. Nicht nur das Unternehmen Tesla hat sich dort niedergelassen, vielmehr werden auch einige der Fabrikgebäude zu hochwertigen Appartments für eine zahlungskräftige Klientel aus dem Raum Basel ausgebaut.

 

In Otmet, in der Nähe von Oppeln in Polen gelegen, wurde 1931 eine weitere Bata Ville errichtet. 1937 von den Schlesischen Schuhwerken übernommen, war die Fabrik im Zweiten Weltkrieg Schauplatz von Zwangsarbeit. Nach 1945 wurde die Schuhproduktion verstaatlicht und 1990 wiederum privatisiert. Auf dem Fabrikgelände existiert heute vorrangig Kleingewerbe, einige Gebäudekomplexe verfallen. Die Arbeitersiedlung existiert heute nicht mehr, die kulturelle Bedeutung des Standortes wird nicht wahrgenommen.

 

Die Niederlassung in Chelmek, Polen, etwa 15 Kilometer von Auschwitz entfernt, wurde 1933 erbaut. Der Bau der Schuhfabrik führte zu einem rapiden Wachstum von Chelmek in den Folgejahren. Nach 1939 wurde die Fabrik unter die Verwaltung der Lager von Auschwitz gestellt. Es fanden Zwangsarbeit und Deportationen statt. Ebenso wie in Otmet wurde die Fabrik nach 1945 verstaatlicht und 1990 privatisiert. Während heute keine originalen Architekturen mehr existieren, ist die Arbeitersiedlung noch bewohnt. Sie bietet einen aus heutiger Sicht sehr niedrigen Wohnstandard.

 

Die Fabrik in Batadorp in der Nähe von Eindhoven, Niederlande, ist der einzige Standort in Europa, an dem bis heute aktiv produziert wird. 1933 gegründet, ist die Schuhproduktion zwar sukzessive reduziert worden, so dass inzwischen nur noch eines von ursprünglich drei Fabrikgebäuden genutzt wird. Es werden Industrieschuhe für Bata Industrials produziert. Die Anlage ist wenig rentabel, so dass kaum Investitionen getätigt werden. Die Zukunft des Standortes erscheint insgesamt unsicher. Die Wohnsiedlung steht unter Denkmalschutz und ist ein beliebtes Domizil für Familien im Grüngürtel von Eindhoven.

 

Trotz ihrer architekturhistorischen Bedeutung sind die Bata Villes eher wenig beachtet und kaum durch Konservierung und Musealisierung geprägt. Das Interesse konzentriert sich zumeist auf die weitaus bedeutsamere Stadt Zlín. Gerade deshalb nimmt der Film die Bata Villes in den Blick. Er zeigt ihre Architekturen und die Zeichen der Veränderung, die an ihnen selbst ablesbar sind.